Zukunftsforschung

„Angst macht uns verrückt“

Uns stehen turbulente Zeiten bevor, glaubt Zukunftsforscher Matthias Horx. Um den Wandel voranzutreiben, brauche es Bedacht, Vernunft und einen klugen Umgang mit Zukunftsvisionen.

Katharina Lehmann
Bildquelle: Matthias Horx

Herr Horx, Klimakrise, Kriege, Wirtschaftsschwäche – die schlechten Nachrichten nehmen derzeit gar kein Ende.

In der Tat leben wir gegenwärtig in einer turbulenten Zeit. Eines dürfen wir aber nicht vergessen: Unser Hirn ist evolutionär so geprägt, dass wir Negatives intensiver erwarten und stärker wahrnehmen, also eine Überaffinität zur Gefahrenwahrnehmung haben. Positive Nachrichten verblassen dagegen schnell. Heute füttern uns die Medien rund um die Uhr fast ausschließlich mit Negativem, damit wir immer dabeibleiben. Daraus entsteht Angst, die uns verrückt macht, weil wir in der Angst den Wandel nicht mehr sehen können.

Und doch reiht sich Krise an Krise, viele Menschen fühlen sich verunsichert.

Wir erleben derzeit eine Omnikrise, eine Krise, in der sich die einzelnen Krisen gegenseitig verstärken und eine neue Qualität schaffen. Das auf Globalisierung und fossilen Energien fußende Zeitalter neigt sich dem Ende, eine neue Welt steht bereits in den Startlöchern, aber es gibt auch einen starken Widerstand gegen das Neue – einen geradezu panischen Widerstand. Die Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist, zerfällt – aber sie konnte eben auch nicht für ewig bestehen. Unsere Lebensform in den hochindustriellen Ländern erzeugt Spaltungen und Spannungen – auch in der Gesellschaft. Solche Transformationszeiten erscheinen schrecklich, die Zukunft scheint total unsicher. Aber in Wirklichkeit hat das alles seinen Sinn – einen Zukunftssinn. Wenn wir einmal 20 Jahre in die Zukunft springen und aus dieser Perspektive auf unsere Zeit zurückschauen, sieht alles gleich ganz anders aus. Wir nennen das die Regnose – das Erkennen der Gegenwartsphänomene durch Zukunftsschau.

Wie begegnen wir diesem Wandel stattdessen am besten?

Indem wir verstehen, dass Krisen zum Leben, zur Wirklichkeit, zur „Welt“ dazugehören und dass sie uns immer auf das Kommende hinweisen. Auch in unserem persönlichen Leben gehen wir ja immer wieder durch Krisen. Pubertät, Adoleszenz, Midlife-Crisis, das Alter – das Leben ist eine einzige Krise, die uns zur Verwandlung herausfordert. Wir müssen uns und unseren Lebensstil, unsere Denkweise neu erfinden. Nicht alles, aber vieles. Das ist anstrengend, es führt zu Streit und Verzagen. Aber es ist auch großartig. Menschen sind erfinderische Wesen, Wandel-Wesen. Nehmen wir zum Beispiel die Energiewende …

Um die ist es aber auch nicht gerade rosig bestellt …

Das ist momentan die allgemeine Wahrnehmung – aber stimmt das wirklich? Wir haben im Übergang von der fossilen zur postfossilen Welt schon viel erreicht. Solar- und Windenergie gehen gerade in den exponentiellen Wachstumsbereich. Erneuerbaren-Technologien sind sehr schnell sehr günstig geworden. China wird allein in diesem Jahr mehr Wind- und Solarenergieanlagen installieren, als ganz Europa und Amerika zusammen produzieren. Bis 2030 können wir in Deutschland durchaus 80 Prozent erneuerbare Energie schaffen, wir nähern uns bereits der 60-Prozent-Marke. Dass wir zehn Jahre später unsere Energie zu 100 Prozent aus regenerativen Quellen erzeugen, auch wenn wir mehr Strom brauchen als heute, ist durchaus realistisch. Das Problem ist doch eher, dass wir durch Miesmacherei und Negativität und das, was ich als „Zukunftsfaulheit“ bezeichne, immerzu nur in Hilflosigkeit fallen – und die Erfolge, die es in diesem Wandel gibt, gar nicht wahrnehmen Dabei sind wir Menschen extrem anpassungsfähig, können uns auf neue Gegebenheiten einstellen und neue Technologien und Strategien entwickeln. Das hat die lange Geschichte der Menschheit gezeigt. Unser größtes Problem heute ist dieses Jammerdenken, das immer nur im Kreis herumführt. Stattdessen sollten wir optimistisch in die Zukunft blicken und unsere Kreativität und unser Innovationspotenzial voll ausschöpfen.

Erschienen August 2024 in Unsere Zukunft